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Erfahrungsbericht: Awake in the Wild Retreat – Teil 3

Nach diesem spannenden ersten Tag, der für mich nachts um 00:30 endete, drangen wir die folgenden drei Tage immer tiefer in die Praxis der Naturmeditation ein und lernten verschiedene Meditationstechniken kennen, die sich auf Körper- und Sinneswahrnehmung stützten aber auch Assoziationsmethoden und Übungen des Mitgefühls beinhalteten.

Die reine Wahrnehmung

Am zweiten Tag konzentrierten wir uns zunächst ganz auf unsere Wahrnehmung. Wir lernten die unterschiedlichen Qualitäten unserer Sinneseindrücke mit all unseren Sinnen kennen. Die Qualität der Luft, die wir atmen, Gerüche, Spüren von Wärme, Hören und den Blick nach Innen, die Beobachtung unserer Atmung. Dabei sollten wir nicht nur auf den Beginn, also das, was unsere Aufmerksamkeit erregt, sondern auch auf das Ende und die Zwischenräume von Sinnesempfindungen achten und dabei das Wechselspiel der einzelnen Sinne beobachten. Dabei ist es ja immer wieder aufs Neue interessant zu beobachten, wie sich die Wahrnehmung mit offenen und geschlossenen Augen verschiebt und zu merken, wie erheblich das Sehen alle anderen Sinne doch in den Hintergrund drängt. Die allermeisten Meditationen haben wir daher auch mit geschlossenen Augen durchgeführt.

Buddhistische Wurzeln

Mit der nachfolgenden Anfängergeist-Meditation, bei der wir unseren Körper versuchten wie ein Neugeborener zu spüren, verfolgten wir dann eine klassisch buddhistische Meditationspraxis. Im Buddhismus bildet das Üben mit Anfängergeist eine zentrale Säule der Meditation. Für mich persönlich ist das eine der fundamentalen Meditationstechniken, die unseren von Schubladendenken geprägten Geist immer wieder vor eine echte Herausforderung stellt.

Auch die Gehmeditation, bei der wir in voller Präsenz draußen wandeln (meandering), und uns von den Reizen anziehen lassen sollten, ist buddhistischen Herkunft. Eine Gehmeditation ist noch einmal um so erkenntnisreicher, wenn man sie, so wie ich, in „bekanntem“ Terrain durchführt und dabei dann feststellt, dass man einen Weg beinahe täglich seit mehreren Jahren geht und doch so vieles noch nie gesehen oder bemerkt hat. Eine weitreichende Erkenntnis, wenn man diese Tatsache mal für sein Leben weiterdenkt…

Fünf Elemente

Am dritten Tag lernten wir eine recht anspruchsvolle Meditationsform kennen, die mit der Assoziation der Elemente in Bezug zu unserem Körper arbeitet. In der Meditation kann die Erkenntnis reifen, dass alle in der Natur vorkommenden Elemente Wasser, Luft, Feuer, Erde innen wie außen vorhanden sind, wir also vollkommen von ihnen durchdrungen sind (same inside and outside). Neben den vier bekannten Elementen hat Mark den Raum (space) als weiteres verbindendes Element zwischen uns und unserer Umwelt benannt, der im wahrsten Sinne einen bedeutenden Platz einnimmt, indem er beinahe alles ausfüllt, was zwischen uns Lebewesen ist und in dem wir interagieren. Eine sehr schöne Assoziation, wie ich finde.

Weitere Assoziationen

Überhaupt waren Assoziationen das Element, das sich durch alle Meditationen durchgezogen hat. Oftmals mit Poesie-gleichen Worten hat Mark uns immer wieder Bilder angeboten, die einen in tiefe Phasen von Versunkenheit geführt haben. Ein paar Beispiele? Wir atmen ein, was der Wald ausatmet. Die Natur, die auf uns wartet und uns aufnimmt. Die Erde spricht zu uns. Die Luft, die uns berührt und umarmt.

Eine besonders tiefe Form des meditativen Austauschs zwischen uns und der Natur konnten wir dann in einer Meditation erfahren, bei der wir unsere Dankbarkeit mit allen Lebewesen und den Teilnehmern geteilt haben. Eine der kraftvollsten Meditationsformen, die ich kenne und die eine wirkliche innere Veränderung in Gang setzen kann.

Halt finden im Zusammensein

Am letzten Tag des Retreats ging Mark auf das ein, was wohl jeden Meditierenden früher oder später beschäftigt, der erst einmal ein tiefes Verbundenheitsgefühl zur Natur entwickelt hat und dann feststellt, dass all das in Gefahr ist, durch uns Menschen zerstört zu werden (suffering of the world).

Hierzu teilte er seine eigenen tiefgründigen Gedanken und gab unterstützende Impulse durch zwei wunderbare Gedichte, die ich unkommentiert hier einfach verlinke:

Lead – Mary Oliver

Clearing – Martha Postlethwaite

Der Kern dieser Gedanken: Die hoffnungsvolle Antwort sind wir selbst und unser gemeinsames Aufwachen und Aktivwerden, um das zu schützen, was wir lieben (protect what we love).

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Erfahrungsbericht: Awake in the Wild Retreat – Teil 2

Anstatt in einen Flieger zu steigen habe ich den besagten Donnerstagmorgen dann stattdessen genutzt, um alles für das Retreat vorzubereiten. Zur Einstimmung hatten alle Teilnehmer noch eine Liste mitgeschickt bekommen, die über den Ablauf aufklärte und Tipps zur Vorbereitung für eine störungsfreie Zeit zu Hause beinhaltete. Die kommenden vier Tage sollten ja kein Alltag sein, sondern bestmöglich als Retreat genutzt werden, auch wenn man zu Hause war. Also wurden im Garten mehrere Meditationsplätze hergerichtet, ein überdachter Platz auf der Terasse, falls es regnen sollte, zwei Plätze im Grün auf der Wiese und einer im angrenzenden Waldstück, wo das WLAN-Signal gerade noch so hinreichte. Sonst hatte ich mir nichts vorgenommen. Der Abend konnte also kommen.

Es geht los

Um 17:30 wählte ich mich ein, voller Spannung, was mich jetzt erwarten würde. Die erste halbe Stunde stand zur Verfügung, um technische Probleme mit der Zoom-Konferenz in den Griff zu bekommen. Es gab aber keine, und so nutzte der ein oder andere schon die Gelegenheit sich und seine Umgebung kurz vorzustellen, zumindest die, die sich per Video eingeklinkt hatten.

Und dann ging es los. Nach ein paar einführenden Worten durch Mark zum Ablauf fand man sich dann schon direkt in 4er-Gruppen in virtuellen Besprechungsräumen zusammen, um sich zu beschnuppern. Anspruchsvoller Einstieg für mein etwas eingerostetes Englisch, aber die zugeteilten 3 Minuten für 4 Leute sind dann zum Glück doch schnell rum.

Die erste Meditation

Nun starteten wir mit einer ersten Achtsamkeits-Meditation. Unter den sanften, sich einschmeichelnden Worten von Mark sollten wir in die Präsenz des Körpers finden und erste Verbindung mit der Erde aufnehmen. Mark führte uns die ersten Minuten unter ständiger Anleitung, ruhig und mit minimal-invasiver Stimme durch die Meditation, um im Anschluss ausreichend Raum in der Stille zu geben und dann immer wieder vereinzelte Impulse einzustreuen. Dabei wiederholte er seine Anleitung, paraphrasierte Eindrücke und Assoziationen immer wieder neu, so dass sie gut einsinken konnten. Insgesamt dauerte die erste Meditation knapp 45 Minuten. Zum Abschluss der Meditation wurde ein thematisch passendes Gedicht gelesen, das diesen Zyklus schön abgerundet hat. Hängen geblieben ist bei mir seine wunderbare Assoziation Landscape of your body, also die Landschaft, die unseren Körper formt. In späteren Meditationen hat er dieses schöne Bild noch erweitert und die Landschaft des Körpers als Sinnbild der sensorischen Wahrnehmung genommen, die sich durch Sinneseindrücke beständig formt und verändert.

Der Ablauf der Meditationseinheiten sollte die folgenden Tage immer mehr oder weniger diesem Schema folgen: Kurze Einführung, Anleitung, Stille, Impulse und zum Abschluss, manchmal auch zu Beginn ein Gedicht, das das Thema der Meditation unterstreicht, anschließend freiwillige Feedbackrunde.

Den Raum draußen halten

Nach dieser Phase der Orientierung und des Ankommens ging es dann nach draußen. 30 Minuten lang sollten wir mit der Wahrnehmung aus der Meditation draußen laufen und anschließend berichten, wie es uns ergangen war. Also Schuhe angezogen und weg vom Laptop. Für die Feedbackrunde konnte man, wenn man sich mitteilen wollte, seine virtuelle Hand heben. Mark hat dann für die jeweilige Person entsprechend die Stummschaltung aufgehoben, so dass man mit ihm persönlich kommunizieren konnte. Das Gesagte war natürlich auch für alle anderen interessant, die sich nicht mitteilen wollten.

Nach 150 Minuten intensiver Meditationspraxis gab es dann eine 2-stündige Mittagspause, für mich also die Gelegenheit zu Abend zu essen.

Der Klang der Natur

Im zweiten Teil stiegen wir dann ein in die Wahrnehmung von Geräuschen, um uns herum. Eine sehr gut zugängliche und sehr wirkungsvolle Meditationstechnik. Mark führte uns auch hier wieder wie durch ein Traumland, das es zu entdecken galt. Nur das dieses Traumland eben kein Traum, sondern die pure Präsenz war. Unaufgeregt und bildhaft spricht er von der Symphony of Sounds und den Discreet Sounds, die uns umgeben, und die in unser Bewusstsein vordringen durften. Von diesem Moment an bemerkte ich, wie unglaublich eindringlich und vielschichtig seine assoziative Meditationsanleitung wirkte. Es war unaufdringlich und bot zugleich genügend Anknüpfungspunkte, um eine persönliche Erfahrung machen zu können. Keine Suggestion, keine Aufdringlichkeit, sondern genügend Spielraum für die eigene, persönliche Erfahrung.

Die anschließende Feedbackrunde war dann durch Chatnachrichten geprägt, die Mark beantwortete und deren Themen er aufgriff, um etwas dazu zu sagen. Zum Abschluss des ersten Tages wurde es dann noch sehr persönlich, als Mark erzählte, wie er überhaupt zu Naturmeditation gekommen ist. Besonders imponiert hat mir seine Motivation, die nicht mit dem Wunsch der persönlichen Weiterentwicklung endet, sondern dem empfundenen Auftrag folgt, den Erfahrungsraum von Natur im Außen und Innen an andere Menschen weiterzugeben.

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